Commentary
Vorläufig
namenlose Komposition
für Flöte und Klavier (1996)
Flöte
& Klavier, 40’
Manchmal
habe ich die Eigenart, mich einem Instrument über Umwege zu nähern. Eigentlich
kann ich Flöten nämlich nicht leiden. Ähnlich ging es mir vor langer Zeit
mit dem Horn. Da half nur eins: Ich schrieb ein Stück, in dem das Horn das
Gegenteil von allem tut, was Hörner normalerweise zu blasen haben. Ein Stück
fast nur im Pianissimo und in den Extremregistern. Die Arbeit mit dem Trio
61 (Benno Trautmann, Mathias Hochweber und Christoph Grund), die das Trio
für Horn, Violine & Klavier 1990 aus der Taufe hoben, ließ uns alle zusammen
dieses Instrument neu entdecken.
Für Flöte solo schrieb ich einst einen kleinen Jux namens 1 Flöte. Als ich
in Brüssel lebte, traf ich dort auf den Flötisten Paul Monville, der dieses
Stück sehr ernst nahm und viel wunderbarer spielte, als ich das eigentlich
vorgesehen hatte. Später hörte ich ihn noch einmal - mit einem schrecklichen
Programm langweiliger, akademischer Musik. Aber jeder Ton, den er produzierte,
war wunderschön. Also blieb mir nichts anderes übrig, als noch einmal für
Flöte zu schreiben.
Meine Wurzeln liegen in der improvisierten Musik, mit der ich mich befasste,
lange bevor ich zum Schreibtischtäter wurde. Gewissermaßen bin ich auf dem
Weg zurück zur Improvisation. Die Vorläufig namenlose Komposition für Flöte
und Klavier liegt auf diesem Weg. Als Komponist "improvisieren" heißt für
mich nicht etwa ein formloses Stück zu produzieren, sondern von der Individualität
der musikalischen Stimmen auszugehen und so zu komponieren, als höre eine
Stimme auf die andere. Die Musik entsteht und belebt sich sozusagen aus sich
selbst heraus, in diesem Fall sicher verbunden mit einer speziellen Spielfreude,
die das Ganze gelegentlich zu einer Art Comic Strip geraten lässt - schnelle
Charakterwechsel, durchaus humoristisches Dialogisieren der beiden Partner,
und dann doch wieder intensives Hören in den Klang hinein.
Eine vorher gegebene Geschichte zu erzählen, liegt mir nicht. Die Geschichten,
die meine Musik erzählt, entstehen aus der Musik und nicht umgekehrt. Was
mich wieder auf den Moment der Improvisation zurückführt, nämlich dass meine
Musik durch ihre Freiheit lebt, nicht in der Einschränkung einer wie auch
immer vorgegebenen Handlung.
Mein Kollege Uwe Kremp sagte, dies sei mein französischstes Stück. Sicher,
1996 lebte und sprach ich hauptsächlich französisch, und das Stück hat eine
gewisse Leichtigkeit und Farbigkeit, die fast debussyistisch ist und in meiner
Musik eher selten zu finden. Bei den Aufnahmen im letzten Jahr - mit Gunhild
Ott und Christoph Grund - hat mich das selbst überrascht; die Komposition
lag ja schon lange zurück, und ich neige zu Vergesslichkeit.
Dass das Stück nach fast fünf Jahren jetzt uraufgeführt wird, ist - wie im
Übrigen das Zustandekommen dieses ganzen Konzertes - ausschließlich dem Engagement
der Musiker des SWR-Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg zu verdanken.
Dietrich Eichmann, Januar 2001