Commentary

frühe sammlung einiger nacht portionen
(seventh piano piece)
(1989)
2 Sampler, Sequencer, Pianist/Sprecher, 88‘

Der Text "nacht portionen" entstand Ende Februar 1989 in Berlin, selbstverständlich nachts, in verschiedenen Etablissements der Osthälfte des damaligen Westteils der Stadt. Die gesamte Arbeit wurde Ende Mai ’89 abgeschlossen.
Methode der Sprachkomposition, die schon aufgrund des geringen Speicherplatzes der veralteten Geräte auf einen relativ kleinen Wortvorrat beschränkt ist, ist die Erstellung permutationsartiger Wortportionen, die den Verlauf und die Konfusion pulsierender Wahrnehmung im irrationalen Verhältnis von Denken und Hören zu fassen und zu verlieren suchen und gleichzeitig das artikulierte Wort als musikalischen Klang rhythmisieren.
Der starr pulsierende Drive des ersten Teils wird in seiner inneren, organischen, d.h. entgegen der Erwartung generellerzwungener Periodizität entstandenen Bewegung zur in sich ruhenden Energieprozedur; in gewisser Hinsicht als Vorbereitung der Vorgänge, die sich später in der ständigen Präsenz einzelner Verse der "nacht portionen" als musikalischer Verlauf in Kombination mit perkussiven Aktionen, die aus der starken Augmentation von zeitgenössischer Tanzmusikgestik abstrahiert sind, "inhaltlich" ereignen, während der semantische Zusammenhang der Worte in die ausführlichsten syntaktischen Variationen rationaler und irrationaler Querverbindungen gerät, so daß letztendlich der Vorgang des empfundenen Denkens an sich zum akustisch-musikalischen Ereignis wird. Laut geformte Lust erhebt Ekstase in farbreiche Fortschreitung überempfindlicher Verstandesblockaden (da sollte man Fenster & Türen schließen).
Gleichzeitig soll die manchmal unverhohlene Brutalität der Musik in der Schilderung pulsierender Gedanken- und Wahrnehmungsvorgänge eine Ruhe im Einlassen auf die Energie der Zeit ermöglichen. Wer nicht in der Lage ist, drastische Konsequenz zu erfahren und am Ende doch in schallendes Gelächter auszubrechen, sollte den Saal möglichst gleich wieder verlassen. In Wut und Verachtung strotzt die Musik vor Haß und Liebe.
Eskalation der Rhythmisierung findet statt in der Überlagerung verschiedener volkstümlicher und sonst charakteristischer Marschrhythmen in roher Stumpfheit des einzelnen Modells, deren traditioneller Zweck durch das Entstehen von Additionsrhythmen der verschiedenen Tempi absurd wird. Hier ist wie schon im Text der Zeitpunkt der Komposition (während des Einzugs der sog. Republikaner ins Berliner Parlament) nicht ohne Einfluß geblieben. Inzwischen hatten wir die gloriose WV, und bürgerlich-faschistoide Sauberkeit ist generell noch aufdringlicher und zukunftsweisender en vogue, so daß der Zeitpunkt für eine Wiederaufführung des "seventh piano piece" durchaus nicht zu früh erscheint, nachdem fast drei Jahre kein Veranstalter bereit war, das Stück in sein Programm aufzunehmen.
Am 9.6.89 fand in der Universität Essen die Uraufführung statt. Die Komposition war von der Musik- und Textwissenschaftlerin Julia Dewenter in Auftrag gegeben worden. Ohne ihre Unterstützung gäbe es dieses Stück nicht.
Für die Wiederaufführung bin ich froh, in Gunter Wessmann, dessen Arbeit ich sehr hochschätze, einen Partner für die optische Gestaltung der Musik gefunden zu haben, der in der Lage ist, mit sparsamen Mitteln den konzeptionellen Charakter dieses Projekts zu unterstützen.
Januar 1992, zur Karlsruher Aufführung

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