- Writings by and on Dietrich Eichmann -

 

Lieber Dietrich, danke für Entre deux guerres – ich bin entsetzt, es hat mir gefallen: Mühelos, fast bis zum Schluß mit umgebundener Serviette, saßen die Ohren leise schnaufend da, ohne zu erlahmen. Dürfen sie das überhaupt?
Elisabeth Kmölniger


Writings by Dietrich Eichman
 
Writings on Dietrich Eichman

Writings by Dietrich Eichman

Flute Sounds 2009 – Festival in Prishtina, Kosovo

Auf der Fahrt vom Flughafen nach Prishtina kommt das Taxi in der Kolonne schwedischer KFOR-Fahrzeuge nur langsam voran. Es ist früher Nachmittag, die Schule scheint gerade aus zu sein, denn am Straßenrand kommen uns nicht enden wollende Reihen fröhlicher, den Militärs zuwinkender Kinder entgegen. Die, die keine Schultaschen tragen, treiben Kühe. Dahinter freies Feld, auf dem neue Häuser, noch im Bau oder sichtbar gerade erst fertig geworden, wie Pilze sprießen, ohne jede Ordnung, ohne Straßenkonzept. Viele sind groß, fast protzig, an manchen hängen Transparente: „Thank you America! You own us!“. Dazwischen immer wieder ausladende Autoschrottplätze. Prishtina erreicht man aus dieser Richtung von einer Anhöhe, die einen wunderbaren Blick auf die hügelig verschachtelte, nicht sehr große Stadt erlaubt. Eine bewegte Hauptverkehrs- und Geschäftsstraße, der Taxifahrer zeigt mir stolz, wo er in einem Hochhaus linker Hand wohnt. Ich frage ihn nach dem Namen der Straße. Er kennt ihn nicht. Das ist unwichtig, denn die Straßennamen wechselten in den letzten Jahren ständig. Der Verkehr ist dicht, die Luftverschmutzung unbeschreiblich, eine der schlimmsten weltweit. Dafür sorgt auch ein nahe der Stadt liegendes Kraftwerk, dessen Emissionen völlig ungefiltert bleiben.
Seit dem Kriegsende wächst Prishtina ständig. Die alte Stadt, die nahezu zerstört wurde, hatte rund 150.000 Einwohner. Das neben dem ehemaligen Zentrum entstehende neue Prishtina wird inzwischen von mindestens einer halben Million Menschen bevölkert. Einigermaßen verlässliche Bevölkerungszahlen gibt es nicht, an eine Volkszählung wird gedacht.

Der Eintritt zu Veranstaltungen klassischer Musik ist hier grundsätzlich frei, ein Überbleibsel aus sozialistischen Zeiten. Da es aber kaum staatliche Unterstützung gibt und nur sehr wenig und werbeorientiert privat gesponsort wird, arbeiten die meisten klassischen Musiker unbezahlt. Das Gastieren ausländischer Musiker ist nur mit Hilfe der jeweiligen Botschaften möglich. Popkonzerte sind selbstverständlich hoch gesponsort und werden als Events für die betuchte Oberschicht verstanden, die sich die hohen Eintrittspreise leisten kann.

Es gibt vier nicht-kommerzielle Musikfestivals im Kosovo: das International Festival of Young Musicians – DAM (ein erstmals 2006 von Studenten organisiertes Austauschforum), ein jährliches Kammermusikfestival im Oktober, das Festival Re Musika (Neue Musik) im Mai. Das Festival Tingujt e Flautit – Flute Sounds findet seit 2002 zum vierten Male statt und soll künftig als Biennale fortgesetzt werden. Durchgeführt wird es von der NGO (Non-Gouvernmental Organisation) Fryma e Re – New Spirit, die im wesentlichen aus drei jungen Frauen besteht: allen voran die Flötistin, Dichterin, Komponistin und Sound Designerin Erëmira Çitaku, die Fotografin und Managerin Enisa Kasemi und die Malerin und Konzeptkünstlerin Anita Baraku. Das Motto des Festivals: „Cili tingull je ti – which sound are you“, deutet die Vielfalt an, die die Veranstalter gegen alle organisatorischen und finanziellen Schwierigkeiten auf die Beine gestellt haben.

Eröffnet wurde Tingujt e Flautit am 7.Juni vom schweizer Flötisten und Dirigenten Peter Lukas Graf, der mit den Solisten des Philharmonischen Orchesters Kosovo ein Programm mit Vivaldi, Bach und Mozart erarbeitet hatte.
Drita Diba schwärmt von der Energie und Inspiration des Meisters, die sich sofort auf das Ensemble übertragen und das Konzert zu einem unvergesslichen Ereignis werden lassen habe. Sie ist erste Violinistin des Orchesters, das aus knapp 20 festen Mitgliedern besteht, und verdient damit 200 Euro im Monat. Erst Anfang des Jahres kam sie nach dem Studium in Münster zurück nach Prishtina. In Deutschland gebe es genug gut ausgebildete Musiker, hier im Kosovo werde sie gebraucht, sagt sie. Drita will in alle Schulen des Kosovo gehen, für die Kinder Geige spielen und den spontan Interessierten sofort ersten Unterricht erteilen. So hofft sie, die Begabten im Lande zu finden, für die sie ihre Schule aufbauen möchte. Das wird viel Arbeit, Geduld und Energie erfordern in einem Land, in dem es kaum Schulbücher gibt. Geschweige denn finanzielle Mittel für kulturelle Bildung. Aber der Bildungshunger, der die jungen Leute hier antreibt, ist unersättlich. Sie bauen die Zukunft. Jetzt.

Das erste Programm zeitgenössischer Werke zeigte am 17.6. eine Videodokumentation der Performance Dy ana – Two Moons von Erëmira Çitaku, das auf einem frühen Gedicht der Komponistin basiert und in allen Parametern auf die Zweiheit der Dinge Bezug nimmt: zwei Musiker (Flöte und Trompete) improvisieren über ein lyrisches Thema vor einer Videoprojektion, deren Hauptmotiv zwei in verschiedene Beziehungen zueinander tretende Mondansichten bilden. In Verbindung mit regelmäßig pulsierender elektronischer Musik wird das Gedicht in albanisch und englisch rezitiert. Zum Klang des traditionellen Saiteninstruments Çifteli erscheint ein großer, dürrer, bärtiger Mann – ein stadtbekannter Obdachloser, der vor dem Krieg ein erfolgreicher Wissenschaftler an der Universität war –, bevor das Bild der Distanz zwischen den beiden Monden das Stück in Stille beschließt. Diese Performance schien alle Aspekte von Çitakus Arbeit miteinander zu verbinden und kann als ihr opus 1 gelten.
Das anschließend präsentierte „digital interactive artwork“ Shape, Color & Sound von Penesta Dika und Tomor Elezkurtaj bediente sich laut Programmnotiz der Farbenlehre Johannes Ittens, der Zwölftontechnik Arnold Schönbergs und der Geometrie Euklids. Auf einem „ReacTable“, einem großformatigen Touchpad, kann der „User“ per „Drag and Drop“ Abfolgen der zwölf chromatischen Tonhöhen mit Farben und geometrischen Formen in einem Aktionskreis verknüpfen und dann die entstandenen ein- oder zweistimmigen Melodien mit einem Flötensample ablaufen lassen. Dauern und Dynamik bleiben unberücksichtigt, man denke aber darüber nach. Für ein teures Spielzeug dieser Art die Namen Euklids, Ittens und Schönbergs zu bemühen, ist allerdings mehr als fragwürdig.

Alle Konzerte vom 18. bis 21.Juni fanden in Prishtinas einzigem Konzertsaal Salla e Kuqe (Roter Saal) statt, in welchem selbst die Bestuhlung auseinander bricht. Es gibt keinen Klavierbauer im Kosovo und keinen einzigen voll funktionstüchtigen Flügel. Ein einsamer Klavierstimmer betreut die durchgängig kaputten Instrumente in der Musikakademie und den schönen Blüthner im Roten Saal, dessen Mechanik und Saiten so lange nicht erneuert wurden, dass er zwar dem Improvisator einiges an Charakter zu bieten hat, dem Interpreten komponierter Musik aber Probleme bereitet. Anstatt den Saal und die Musikakademie mit brauchbaren Instrumenten und Einrichtung auszustatten, plant die Regierung den Bau eines Opernhauses. Fraglich ist nur, woher das Opernorchester kommen soll.

Von den Eigenarten des Blüthner konnte ich ausführlich Gebrauch machen, als ich das Vergnügen hatte, ein Konzert mit dem Duo Angelika Sheridan (Flöte, Bassflöte) und Ute Völker (Akkordeon) zu teilen. Ihre in der Form strenge, in der Farbigkeit grenzenlose Musik, aus der trotz des ihr von Thomas Beimel zu Recht bescheinigten Tiefseecharakters immer wieder höchst lyrisch-expressive Momente aufleuchten, zog das Publikum sehr in Bann.

Der Abend des 19.6. stand im Zeichen eines deutlich zu langen Konzerts, das über vier Stunden ohne Pause einen Großteil der kosovarischen jungen Musikszene, vom Jugendorchester aus Mitrovica über Absolventen der Musikakademie Prishtina bis zu bereits international erfahrenen Interpreten, mit klassischen Werken der Flötenliteratur und Neuer Musik vorstellte.
Von Kushtrim Gashi (*1984) erklangen zwei Kompositionen: Pari Intervalli für im Raum verteilte Bläser (Flöte, Klarinette, Bassklarinette, Altsaxophon) entfaltet in Frage-Antwort-Verläufen sich schichtende, in sich durch Flatterzungen und Triller bewegte Klangflächen, die dann in swingende Akkordakzente münden. Kurz und humorvoll. Der dramatisch-raumgreifende Trauergesang Çou Rexho basiert auf einem Volkslied über einen Bräutigam, der kurz vor der Hochzeit von seinem Pferd erschlagen wird. In der Instrumentation Tenor, Flöte, Violine und Klavier setzt Gashi traditionelle albanische Harmonik und Gestik in Spieltechniken der Neuen Musik.
Unter den Interpreten hervorzuheben ist die Flötistin Lule Ballata, die mit klassischen Virtuosenstücken zu glänzen verstand, sich aber in den aktuellen Kompositionen ihrer jungen Landsleute noch wohler zu fühlen schien. Bereits in Interlud von Liburn Jupolli (*1987), einem ambitionierten, rondo-artigen Stück, das wie auf einer Zeitreise durch die Stilepochen hastet, zeigten sie und der Pianist Neritan Hysa Sicherheit und Einfühlungsvermögen.
Für das interessanteste Stück des Abends traten Jeta Çitaku (Sopran), Visar Kuçi (Violine) und Patris Berisha (Schlagwerk) hinzu: Cantus von Drinor Zymberi (*1987) bezieht sein Tonmaterial aus einem Volkslied über den Abschied vom aus politischen Gründen auswandernden Sohn. Die jüngste Geschichte des Landes ist hier immer präsent. Textlos auf Vokalen gesungene Melodiefragmente und -variationen setzt Zymberi in ausgeklügelte, in sich flimmernde Klangflächen von aus ihrer Dezenz herrührender Intensität. Wer bis zum Schluss durchgehalten hatte, wurde durch diese überzeugende Musik belohnt.

Ein Höhepunkt war das Konzert des amerikanischen NewBorn Trio. Katie Down und Miguel Frasconi spielen selbstgebaute und gefundene Instrumente aus Glas in allen denkbaren und unvorstellbaren Variationen und kombinieren diese mit Flöten und flötenartigen Instrumenten aus aller Welt, so auch instrumental die Verbindung zu Jeffrey Lependorf, Meister der japanischen Shakuhachi, bildend. Alle drei sind phantastische Improvisatoren und beherrschen eine Kommunikation, die man fast instinktiv nennen könnte, strukturelle Veränderungen vorausahnend und wie in homogen komponierter Ensemblemusik als ein organischer Klangkörper agierend. Mit freudiger Leichtigkeit meistern sie das fragile Glasinstrumentarium, dem sie eine Klangvielfalt entlocken, die selbst den hartgesottenen Kenner experimenteller Musik überrascht.
Diese Glas- und Flötenmusik war wunderschön, fast zu schön in einer Zeit der mannigfaltigen Widrigkeiten. Das Konzert endete mit dem Verspeisen von Flöten aus Zuckerwerk.

Für den letzten Abend hatte Festivaldirektorin Erëmira Çitaku sich selbst eine hochvirtuose Kür auferlegt: Begleitet vom französischen Pianisten Pascal Godart, dem man die Schwierigkeiten des Anschlags auf dem heruntergespielten Flügel (s.o.) niemals anhörte, bot sie ein impressionistisches Programm (Poulenc, Dutilleux, Messiaen und die lange Violinsonate von César Franck in ihrer Fassung für Flöte), in das sich die einzige zeitgenössische Komposition von Trimor Dhomi reibungslos einfügte. An Ideenreichtum und Farbigkeit haben die großen Vorbilder allerdings weit mehr zu bieten.
Nach all der organisatorischen Arbeit, die Erëmira rund um die Uhr für das Festival geleistet hat, ist ihre scheinbar mühelose Höchstform beim Abschlusskonzert als besondere Leistung hervorzuheben. Respekt! Zu Recht gab es stehende Ovationen.

Das Festival wurde begleitet von mehreren Workshops, darunter ein unbeschreiblich erfrischender mit geistig behinderten Menschen, um deren Probleme und Integration sich im Kosovo noch kaum jemand kümmert. Auch hier leisten Erëmira, Enisa, Anita, Drita und die vielen, vor Energie und Optimismus strahlenden jungen Leute unschätzbare Arbeit für die Zukunft dieses jungen Landes.

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Die GEMA als Organisation zur Vernichtung der Arbeitsgrundlagen ihrer Musiker

STRALAU 68 – Gespräch mit Jürg Bariletti1
von Dietrich Eichmann

Der 1968 geborene Schweizer Pianist und Experimentalmusiker Jürg Bariletti lebt seit 2001 in Berlin und hat hier den interdisziplinären und internationalen Veranstaltungsort Stralau 68 aufgebaut. Als Projektorganisator und Veranstalter von experimenteller Musik und Musiktheater war er zuvor bereits in der Schweiz höchst aktiv, wo seine Arbeit auch öffentlich mit Förderpreisen unterstützt wurde.

Sein programmatisches Konzept erschließt sich aus seinem künstlerisch-musikalischen Ansatz; er nennt es „Improvisation als Ideologie“.

Die Halbinsel Stralau zwischen Spree und Rummelsburger See befindet sich zwar gerade noch im Innenstadtring, ist aber versteckt und verhältnismäßig unerschlossen. Ein zufällig vorbeikommendes Laufpublikum gibt es nicht. Besucht man Stralau 68, direkt an der S-Bahn-Trasse, betritt man einen mit Graffiti übersäten Flachbau, der sich im Innern sofort als Ort des muskalischen und szenischen Experiments mitteilt. In den 1960er Jahren war das eine Kantine für Bahnarbeiter, so vermutet Jürg Bariletti. Indirekt ist sein Vermieter die Deutsche Bahn AG. Als er einzog, gab es nichts, was funktionierte. Im ersten Jahr hat er in mühsamer Arbeit, aus eigener Tasche finanziert und praktisch im Alleingang, Elektrizität, Heizung und sanitäre Einrichtungen funktionstüchtig gemacht und das ganze Gebäude als Konzertort hergerichtet. Es gibt zwei große Räume, einen sanitären Bereich mit mehreren Toiletten, Waschbecken, Duschen und eine halb eingerichtete Großküche. Im kleineren der beiden großen Räume lebt und arbeitet Bariletti, hier befindet sich sein Labor: der für eine mobile Theatermusik entwickelte Klangkoffer, aus- und umgebaute Gußeisenplatten mit Stimmstock und Besaitung, Spielwerke, die völlig anderes als Klaviersaiten bespielen; alles ist und atmet Musik.

Im größeren Raum, einem geräumigen Veranstaltungsraum, stehen die beiden Flügel, die Stralau 68 in der Reihe der Klein- und Kleinstveranstaltungsorte der Berliner Freien Szene eine Sonderstellung einnehmen lassen. Der schöne Bechstein wird von Bariletti selbst gestimmt und in Schuß gehalten, der zweite Flügel steht für Präparationen aller Art zur Verfügung.

Stralau 68 ist keine Wohnung, Kneipe oder Galerie, wo zusätzlich manchmal experimentelle Musik stattfindet, sondern es ist ein Ort, der mit, für und aus der experimentellen Musik heraus existiert und lebt.

Den – sehr gering bemessenen – Eintritt gibt Bariletti vollständig an die Musiker weiter. Trotzdem ist Stralau 68 in der internationalen Szene experimenteller Musik einer der begehrtesten Spielorte weltweit. Nahezu alle experimentellen Stilrichtungen der Berliner Szene sind hier regelmäßig vertreten. Es gibt kein Geld, keine Presse, keine Stipendien und Preise, aber Bariletti bekommt ständig Anfragen internationaler Musiker, die auf eigene Kosten anreisen, um hier auftreten zu können. Über das Programm entscheidet er allein, auch sonst macht er meistens alles selbst, Booking, Organisation, Bar, Werbung. Er legt Wert darauf, daß ihm keiner dreinredet.

JB: Als Pianist ist man ja ein bißchen eingeschränkt: Wenn man einen Flügel hat, dann braucht man einen Raum, wo man das Ding hinstellen kann. Also suchte ich einen Raum, wo ich ungestört proben und mit Leuten zusammen spielen kann. Nachdem ich diesen Ort gefunden hatte, entwickelte er sich auf ganz natürliche Weise zum Veranstaltungsort. Erst hatte ich das gar nicht vor, aber es fiel schnell auf, daß es in Berlin praktisch gar keine Möglichkeiten für Pianisten gibt, aufzutreten, mit Präparationen zu arbeiten, mit Klangveränderungen usw. Ich wollte mir natürlich selbst eine gewisse Plattform erarbeiten, und vor allem einen Ort explizit für Pianisten schaffen, die auf dem experimentellen Gebiet arbeiten. Grenzenlos, stilrichtungslos experimentelle, innovative Projekte veranstalten, in die Pianisten einbezogen sind. Das war und ist noch immer die Grundidee.

Seit der ersten interdisziplinären Konzert-Installation im April 2002 habe ich hunderte von Konzerten organisiert. Dies ist das sechste Jahr, im Schnitt vier, fünf Konzerte im Monat, wenn ich hier bin. Es gab aber auch Unterbrechungen, manchmal monatelang, wenn ich z.B. einen Job in der Schweiz hatte.

Natürlich bin ich in Berlin nicht der einzige, aber was ich hier herausragend finde, ist die Inspiration des Raumes, die Akustik ist fantastisch, es ist einfach ein Ort, der durch Improvisation lebt. Die Leute kommen hierher, weil sie Musik, und zwar genau diese Musik hören wollen. Da gibt’s immer ganz tolle, konzertante Stimmungen, die Musiker sind total inspiriert.

DE: Das Programm von Stralau 68 unterscheidet sich in wichtiger Weise von anderen Veranstaltern Improvisierter Musik in Berlin, die sich häufig über eng gefaßte Musikstilrichtungen und Sozialisierungsrichtlinien definieren.

JB: Ich habe eine andere Philosophie als andere Veranstalter. Ich lade auch Leute ein, die ich nicht persönlich und deren Musik ich noch nicht gut kenne. Hier nur Musiker einzuladen, die schon bekannt sind, Magnete sind, war nie mein Ziel. Wenn eine ganz unbekannte Band spielt, dann kommen eben nicht so viele Leute. Ich gehe das Risiko ein und sag den Leuten: kommt spielen, die Bedingungen sind so und so. Ich habe dabei immer einen guten Instinkt gehabt.

Wer hierher kommt, der weiß, es wird etwas Unvorhersehbares passieren, etwas Experimentelles, etwas Neues, etwas Spontanes, egal in welchem Genre es sich bewegt. Es kann richtig freejazzig abgehen, ich habe aber auch einige wenige Konzerte im Bereich „Neue Musik“ organisiert. Komponisten fragen, ob sie ihre Stücke hier aufführen dürfen, meist weil sie wissen, daß ich hier einen Flügel habe, und es auch für sie keine andere Möglichkeit gibt, ihre Stücke zu realisieren, wenn sie nicht in den offiziellen Förderstrukturen drinstecken.

Natürlich ist es schön, wenn nicht nur eine bestimmte Schule, sondern einfach Leute kommen, die etwas Neues wollen. Das Publikum kommt, nicht weil es ein Neue-Musik-Konzert, sondern etwas Neues hören will!

Diese Offenheit ist wichtig, daß man nicht erst irgendwelche Konditionen erfüllen muß, um hier überhaupt auftreten zu dürfen, wie hier und dort organisiert zu sein und diesen und jenen zu kennen. Der einzige kritische Punkt ist die Musik, der Ton, alles andere ist nebensächlich. Da geht’s wirklich um die Musik und nichts anderes.

Das schätzen die Musiker sehr, und durchweg alle, die hier spielten, wollen auf jeden Fall wieder kommen. Ich glaube, man darf sagen, daß es einer der wichtigsten Orte in Berlin ist, wo internationale und europäische Kultur wirklich stattfindet, nicht nur auf dem Papier und mit irgendwelchen EU-finanzierten Projekten, sondern auf eine eigene, private Initiative, und es funktioniert tadellos. Aber es funktioniert eben nur solange, bis irgendwelche Behörden das spitzbekommen… dann bekommt man natürlich Probleme. Ich hab’ fünf Jahre Glück gehabt, und jetzt hab’ ich mein Problem…

DE: Welche Behörden sind das?

JB: Zunächst gab’s natürlich die Wirtschaftspolizei, na, hier heißt sie Gewerbepolizei, die ist schon mal aufgekreuzt, aber die konnte ich abwenden, weil ich versprach, keine Werbung zu machen, und daß es nur Privatanlässe seien. Das ist hier möglich, weil es so abgelegen ist, im Niemandsland. In Mitte wäre das nicht mehr möglich gewesen, oder in Prenzlberg… das hätten sie mir nicht geglaubt (lacht).

Das Absurde aber ist, daß über ein Theaterprojekt, wofür ich Musik machte, die GEMA auf mich aufmerksam wurde. Dann haben sie mich gegoogelt, kamen natürlich auf die Website von Stralau 68 – sonst mach’ ich ja keine offizielle Werbung, aber es gibt eine Website mit dem aktuellen Programm und einem Archiv. Dort konnten sie vollen Einblick bekommen, und es dauerte nicht lange, bis die Agenten der GEMA kamen. Die drohten natürlich mit Buße, wie’s üblich ist, und zwangen mich, einen Vertrag zu unterschreiben, dessen monatliche Zahlungen ich gar nicht imstande bin zu leisten. Und ich dürfe keinen Barbetrieb machen und kein Eintrittsgeld nehmen. Das heißt, du mußt gratis spielen kommen und verdursten.

DE: Von diesen Einnahmen wird von der GEMA an die Musiker, die hier auftreten, überhaupt nichts verteilt.

JB: Nein, denn es sind ja „improvisierende Musiker“, das gibt’s überhaupt nicht, das existiert nicht für die GEMA-Leute. Es wird nicht anerkannt als Kunstrichtung, es habe nicht im entferntesten mit einem Urheberrecht zu tun. Wirklich ernsthafte, frei improvisierte Musik, wie sie im Moment passiert, die nicht faßbar ist, das ist ein einmaliges Hörerlebnis, das ist dann vorbei, es gibt keine Tonträger und nichts; das ist meine Philosophie. Das ist für Behörden nicht faßbar, und das heißt keine Existenz bei der GEMA – aber: bezahlen muß man! Die Musiker bekommen nichts. Ich kann diesen Standpunkt überhaupt nicht nachvollziehen. Ich bin schon lange am Kämpfen, aber chancenlos. Es gibt Dutzende von Musikern, die ähnliche Probleme haben. Dauernd müssen kleinere Läden, die experimentelle Musik machen, aus finanziellen Gründen schließen, weil die GEMA Druck macht. Tja, die GEMA als Vernichtungsorganisation der Grundlagen ihrer Musiker. Die Musiker, die Pianisten, die experimentelle Musik, neue Musik machen, wo haben die noch eine Plattform? Die wenigen, die es noch gibt, werden systematisch zerstört. GEMA und Behörden glauben, man müsse sich gar nicht um die kleinen Orte kümmern, weil es ein administrativer Mehraufwand ist, so daß sie schlußendlich nur noch die „großen Events“ haben, denn da können sie ja auch richtig absahnen. Diese Politik kann ich nicht unterstützen. Und ich kann’s auch nicht bezahlen, weil ich bisher diesen Ort ausschließlich aus eigenen finanziellen Mitteln quersubventioniert habe, z.B. habe ich persönliche Förderpreise und Werkbeiträge aus der Schweiz bekommen, die ich dann dafür einsetzte.

DE: Aus Berlin selbst hast du aber nichts bekommen?

JB: Nein. Zwei Jahre lang habe ich viele, viele Gesuche sowohl in der Schweiz als auch in Berlin, auch bei Stiftungen usw. eingereicht, um institutionelle Unterstützung für den Ort als Plattform, als Grundlage für das Arbeiten, für die Miete. Ich kann eine erfolgreiche Arbeit vorweisen, positive Resonanz, große Nachfrage bei den Musikern, jahrelang Veranstaltungen mit regelmäßigem Publikum, das, was eben wichtig ist in der Szene; das hat aber alles nichts geholfen. Zuletzt hab’ ich es in diesem Jahr bei der Berliner Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur eingegeben. Die GEMA-Probleme laufen bereits über ein Jahr, und ich wußte, ohne öffentliche Unterstützung werd’ ich das nicht mehr tragen können …es ging ja wirklich nur um 5000 Euro im Jahr, einen läppischen Betrag, wovon ich die GEMA bezahlen könnte, ein bißchen Subvention für’s Programm, alles würde funktionieren, kein Problem! Es ist ein Pappenstiel! Und wie kann es denn sein, daß dann irgendein Verein, der halt kommerziellere Sachen macht, viel, viel mehr Geld bekommt, als überhaupt beantragt – das ist wirklich Tatsache, ich kenne die Leute – und andere Projekte, sehr wichtige Projekte, die wirklich nur einen ganz bescheidenen Zuschuß benötigen, um zu überleben, die werden einfach weggeworfen!

Weil ich mich sonst noch höher verschulden würde, als ich ohnehin schon bin, mußte ich nun leider den Entschluß fassen, im Herbst 2007 diesen Veranstaltungsort aufzugeben. Ich persönlich kann das nicht mehr machen… Ich habe extrem wichtige Arbeit für die Szene geleistet, alles selbst finanziert, Instrumente zur Verfügung gestellt usw., und schlußendlich sitzt man da und hat nichts mehr und verschuldet sich. Obendrein werden jetzt Mahngebühren zwischen fünf und zehn Prozent gefordert. Ich werde das nie bezahlen, ich werde das boykottieren, ich werde der GEMA keinen Cent mehr geben, aus fester Überzeugung. Zwei Monate lang habe ich bezahlt, danach ging es einfach nicht mehr.

DE: Der Boom der alternativen Spielorte in Berlin ist beinahe wieder zum Stillstand gekommen. Anfang des „Jahrtausends“ gab es ja doch eine ganze Menge. Das war sehr wichtig für die Szene! Gerade weil es all diese Begegnungsorte gab, ist Berlin für internationale Musiker so attraktiv geworden!

JB: Das ist etwas Grundlegendes, was die Politiker überhaupt nicht verstehen! Ein Wowereit, der auf Schickimickiparties rumhängt und das für Kultur hält, der kennt wahrscheinlich gar nichts anderes, oder? Es gibt bei den Politikern überhaupt nicht das Bewußtsein, daß Berlin nur überleben kann, wenn es eine Kulturstadt bleibt, in der genau diese Freie Szene am Blühen ist; was nämlich tausende Touristen jedes Jahr anzieht. Wenn man diesen Kern, diese lebendige Struktur voller Offenheit, im Keim erstickt, dann kann Berlin eigentlich zumachen. Es würden nur noch Diplomaten kommen… Auch wirtschaftlich ist es ein unglaublicher Schaden für die ganze Stadt, wenn man es darauf anlegt, die Freie Szene systematisch auszuhöhlen. Sie zu systematisieren und einzuordnen, und alles muß dann nach festen Vorlagen, Richtlinien, Gesetzgebungen funktionieren. Das ist genau das, was man nicht will, wenn man als Tourist nach Berlin kommt. Genau das! Und es sind ganze Reiseorganisationen, die darauf aufbauen, die das ansprechen und ganzen Bevölkerungsschichten empfehlen: ja, geht in die Underground-Szene in Berlin, da läuft was, da lebt es, da wuchert es, da ist alles so lebendig! Politiker, Gremien von Förderung bis GEMA, Kulturausschüsse und sonst noch was, müssen einfach mal ganz klar akzeptieren, daß die Freie Szene in Berlin schützenswert ist, und daß man alles dafür geben muß, um kleine Orte aufrecht zu erhalten. Mit wenig Geld! Wie die Leute im Kultursenat entscheiden, führt zu völliger Zukunftslosigkeit und Perspektivlosigkeit. Die Qualität der Berliner Kulturszene ist denen überhaupt nicht wichtig, da geht’s ja nur ums Prestige – schlußendlich gibt’s dann nur noch die MaerzMusik…

DE: In der MaerzMusik2 läuft eine ganze Menge Programm, das gar nicht entstehen könnte, wenn es Orte wie Stralau 68 und die ganze Berliner Szene nicht gäbe. Auch auf anderen Neue-Musik-Festivals gibt es – manchmal! – Resultate aus der Freien Szene zu hören. All diese Musiker haben mit Berlin zu tun; wenn sie nicht hier leben und arbeiten, dann sind sie ständige Gäste bei dir, im Ausland, im Kulturhaus Mitte, im Labor Sonor. Sogar in Donaueschingen läuft Programm, das ganz eindeutig aus der Berliner Szene stammt, in diesem Jahr in der NOWJazz Session.

JB: Ja woher sollen diese Festivals dann ihre Inhalte beziehen ohne die Freie Szene? Es wird nur noch akademische Inhalte geben. Die MaerzMusik kann für Berlin nur ein Publikumsmagnet sein, wenn sie sich aus der Freien Szene speist.

Nun, ich möchte jetzt im Herbst noch ein paar schöne Sachen machen, vor allem draußen, Installationen, Videoarbeiten, Projektionen, viel Tanz … Und die Musiker können danach noch anfangen zu jammen, so bis drei, vier Uhr morgens. Der Ort ist dafür prädestiniert, weil man hier keine Anwohner hat und niemand stört, also ist da wirklich alles möglich! Und ich sag’ das auch allen. Da wird’s im September, Oktober noch richtig abgehen, quasi bis zum bitteren Ende…

DE: Kannst du dir denn eine Form vorstellen, in der Stralau 68 Berlin als Veranstaltungsort erhalten bleiben kann? Wenn die Senatsverwaltung für Wissenschaft, Forschung und Kultur die Förderung von 5000 Euro bewilligt hätte, wenn es irgend eine Finanzierung gäbe, hättest du dann weitermachen können und wollen?

JB: Wenn ich vom Senat Geld bekommen hätte, würde ich weitermachen, aber sicher nicht mehr hier wohnen. Die bauen auf dem Gelände um, die ganze S-Bahnstrecke wird erneuert… im Moment ist es nicht mehr so angenehm. Auch die Heizkosten sind extrem hoch. Wenn ich im Winter ein Konzert veranstalte, dann muß ich voll heizen, und es kommen wenig Leute. Man müßte noch einmal einiges investieren, um den Ort letztendlich winterfest zu machen. Ich würde mir eine kleine Wohnung in der Umgegend suchen, lasse mein Material mit der gesamten Infrastruktur hier, und jemand anders mietet das ganze.

DE: Könnte das eine Kooperative sein, die Stralau 68 in deinem Sinne mit dir zusammen weiterführt? Ich halte es für sehr wünschenswert, daß die Offenheit des Programms, die du geprägt hast, erhalten bleibt und weitergeführt wird.

JB: Klar… mir ist das alles bewußt. Wenn sich Leute finden, die das Ding mieten und weiter experimentelle Musik hier veranstalten, dann könnte ich mir vorstellen, mich als Fremdveranstalter mit einzuklinken.

Ich habe bereits viele Modelle errechnet und bin überzeugt, wenn jemand das ein bißchen gescheit anpackt und gut vorbereitet – mit der bestehenden Ideologie! – , kann das gut funktionieren, weil es schon einen Ruf hat, weil in der Umgebung eine Wiederbelebung stattfindet und der Standort immer attraktiver wird. In dieser Größe, mit solchen Räumen, die kulturell nutzbar sind, findet man ja so gut wie nichts mehr in Berlin, es ist wirklich einmalig. Wenn es wirklich öffentlich würde, dann hat man mit drei, vier Konzerten die Miete drin. Nebenbei könnte man noch Probeflächen vermieten. Wenn ich nicht mehr hier wohne, geht das. Da wäre finanziell und technisch und zum Vermieten viel mehr möglich. Ich bin 100% überzeugt, daß es offiziell und sich selbst tragend machbar wäre. Und trotzdem mit dieser Ideologie…

DE: Was meinst du mit Ideologie?

JB: Die experimentelle, inhaltliche, musikalische Haltung…

DE: Der Begriff Ideologie bezeichnet eine Weltanschauung, ein System von Wertvorstellungen, er hat den Beigeschmack eines Weltbilds wie eine Religion ohne Gott.

JB: Ja, das ist auch meine Religion ohne Gott!

1 am 25.7.2007

2 Das Berliner Festival MaerzMusik wird nicht von der Stadt sondern vom Bund finanziert.

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Polystrukturen und Jazz
Der Einfluß Bernd Alois Zimmermanns auf meine Arbeit

Bernd Alois Zimmermann ist ein sehr wichtiger Initiator meiner musikalischen Wahrnehmung und meines kreativen Antriebs. Natürlich bin ich ihm nie begegnet. Vorgestellt und vermittelt wurde er mir durch einen Angehörigen der „dazwischenliegenden“ Generation, den Free-Jazz-Pianisten Alexander von Schlippenbach, meinen ersten Lehrer, der selbst Schüler Zimmermanns war. Die Begegnung mit Zimmermanns Werk überzeugte mich davon, daß auch komponierte Musik in unserer Zeit eine solche Kraft und Intensität haben kann, wie ich sie suchte und bisher nur im Jazz und der improvisierten Musik gefunden hatte. Der zweite wichtige Ansatz, den ich aus dieser Begegnung für mein späteres eigenes Schaffen mitnahm, ist, daß Musik politisch wirksam sein kann und muß, daß es die Aufgabe, die Verpflichtung jedes ernstzunehmenden Künstlers sein muß, seine Arbeit in engagiertem Bewußtsein und Reflektion der politisch-gesellschaftlichen Zusammenhänge, innerhalb derer er arbeitet, zu tun.

Wenn es denn notwendig wird, muß man auch gegen diese gesellschaftlichen Umstände anarbeiten. Kunst kann sich nicht von der Komplexität der politischen Weltsituation abkoppeln, wenn sie frei sein will. L’art pour l’art kann nur in vasallenhaften Verhältnissen stattfinden, wie sie allerdings durch die Abhängigkeit der Kunstschaffenden von der Wirtschaft und deren Reduktion des Kunstanspruchs auf die Tauglichkeit als Werbeträger heute wieder in erschreckender Weise gang und gäbe werden. In die Konzertsäle gelangt nur noch Musik, die garantiert affirmativ und kommerziell verwertbar ist.

Für mich ist der einzige Komponist im Deutschland der unmittelbaren Nachkriegszeit, der durch seine Musiksprache die Wahrnehmung politischer Zusammenhänge tatsächlich schärfen konnte, gerade der, der von den „linken Dialektikern“ der selbsternannten Adorno-Nachfolge als bürgerlicher Katholik ausgegrenzt und verteufelt wird, nämlich Bernd Alois Zimmermann.

Spätestens mit dem Trompetenkonzert Nobody knows the trouble I see (1954) beginnt das Gegen-die-gesellschaftlichen-Umstände-Anschreiben in Zimmermanns Werk. Die leichte Veränderung des ursprünglichen Titels des Spirituals „Nobody knows the trouble I’ve seen“ deutet auf den existentiellen Charakter dieses Werkes hin und ist bereits eine politische Stellungnahme.
Dieser Antrieb in Zimmermanns Schaffen setzt sich fort bis zum Requiem für einen jungen Dichter (1967-69), für mich das wichtigste politische Werk des 20. Jahrhunderts und sicher das beeindruckendste. Entsprechend selten wird dieses Werk aufgeführt; ich hatte das Glück, es im Rahmen einer Tournee des SWR-Orchesters 1995 auf dem Edinburgh Festival zu erleben, wo ein eigentlich sehr konservatives Publikum noch Wochen später mit dem Ereignis beschäftigt war.

In diesem Lingual sind alle Aspekte von Zimmermanns pluralistischer Musikauffassung vereint und zugleich in einer bisher nicht gekannten Form auf die Komposition von Sprache angewandt: die Gleichzeitigkeit verschiedenster Zeitstrukturen, die sich hier nicht nur auf einer „abstrakten“ musikalischen Ebene abspielt, sondern dem Zuhörer unmittelbar durch die Text- und Tonbandcollagen begreiflich wird; die Zitate von Beethoven über Jazz bis zu den Beatles; in den spärlich gesäten Teilen „reiner Musik“ eine enorme Energieentwicklung durch die geschichteten Polystrukturen; das ganze als eindeutig politisches Werk, das in der Form des Requiems in einem unglaublichen Aufschrei „dona nobis pacem“ endet, nachdem vorher in langen Passagen auch die rund 300 Mitwirkenden, ohne zu spielen und zusammen mit dem Publikum, der apokalyptischen Revue der Grausamkeiten im Namen von Profitgier, Ideologie und Religion der fünfzig Jahre zuvor lauschten.

Aber auch seine Orchesterwerke, die ohne Texte auskommen, habe ich immer als politische Musik verstanden. Seine Zitatentechnik, sein musikalischer Pluralismus und vor allem das Konzept der „Kugelgestalt der Zeit“ verdeutlichen diesen Anspruch auch ohne Text in Werken wie Musique pour les soupers du Roi Ubu, der Ouverture zu den Soldaten, Photoptosis, Stille und Umkehr.

Kugelgestalt der Zeit heißt erweiterter musikalischer Kontrapunkt und Polyphonie als Polystruktur, als gleichzeitiges Koexistieren verschiedenster Strukturen; ein Bild für die komplexen Zusammenhänge des Weltgeschehens, Zusammenhänge von Gegenwart, Vergangenheit, Zukunft; aber auch Bild für das Koexistieren verschiedenster Gesellschaftsformen, -entwicklungen, Ideen, Konzepte, Ideologien, Individuen.

Zimmermann war in Deutschland der erste Komponist aus der „E-Musik“, der sich ernsthaft mit den neuen Entwicklungen im Jazz und mit der Entstehung der europäischen Version des Free Jazz beschäftigte. Auch wenn es ebenfalls Bemühungen anderer Komponisten um die Free Jazz-Musiker gab, blieb Zimmermann lange Zeit der einzige, dessen Arbeit hier zu einem wirklichen Dialog führte, während andere sich der klanglichen Ausdrucksmittel dieser Musiker zu bedienen suchten, ohne sich mit der künstlerischen Haltung, die diese Ausdrucksmittel hervorbrachte, zu befassen (u.a. Penderecki und Hespos).
Jazz-Combos tauchen als fester Bestandteil in Zimmermanns Musiksprache auf, meistens direkt konzipiert für das damalige Quintett um Manfred Schoof und Alexander von Schlippenbach.
Dieser Austausch war damals ein in beiden Richtungen sehr fruchtbarer, führt doch Alex Schlippenbach die Entstehung seines Globe Unity Orchestra 1 auf das Zimmermannsche Konzept der Kugelgestalt der Zeit zurück. Schlippenbach: „Im Free Jazz machen wir das dauernd.“ 2

In den Frühphasen des Free Jazz hatte die Musik einen überwiegend aggressiven Charakter. Hier ging es jedoch nicht um die Austragung oder Darstellung von Konflikten zwischen den Musikern, sondern um das Vermitteln von großer Energie, die entsteht, wenn die Vielfalt des Lebendigen sich frei und uneingeschränkt manifestieren kann. Wenn ein Konflikt, ein Kampf sich darin darstellte, dann der für die Freiheit und Unabhängigkeit der Menschen, der Individuen, denen diese durch gesellschaftliche und politische Normen wie Rassismus, Religion und wirtschaftliche Interessen vorenthalten wird. In den USA entstand der Free Jazz in enger Verbindung mit der schwarzen Bürgerrechtsbewegung und blieb dieser lange Zeit verpflichtet. Europäische Musiker entwickelten sehr bald ihren eigenen musikalischen und kollektiven Ansatz. Beide Ansätze verbindet der Freiheitsbegriff und das Bewußtsein der politischen Notwendigkeit der künstlerischen Äußerung.
Die evidenten stilistischen Unterschiede erklären sich aus den verschiedenen musikalischen Nährböden, aus denen sich die neuen Entwicklungen speisten: in Amerika der Jazz, der mit Bebop und Hard Bop an die Grenzen der traditionellen Form geraten war, in Europa die Neuorientierung des Musikschaffens nach dem Zweiten Weltkrieg, die in der seriellen und postseriellen Musik sehr schnell ihre Grenzen im Formalismus gefunden hatte.
Macht man sich diese Hintergründe bewußt, wird man begreifen, welche Bedeutung Zimmermanns Dialog mit den Musikern von Globe Unity für die Entstehung des stilistisch eigenständigen europäischen Free Jazz hatte.

Ich möchte nun auf drei meiner eigenen Ensemblestücke eingehen, an denen ein Zimmermannscher Einfluß deutlich erkennbar wird. Gleichzeitig sind diese Stücke aus den letzten Jahren jene, die am deutlichsten in einem politischen Zusammenhang entstanden sind.

In meinem Klavierkonzert Entre deux guerres 3 (1996-98) wende ich erweiterten Kontrapunkt und Polyrhythmik als Polystruktur im Sinne von Gleichzeitigkeit individuell verschiedener Strukturen oder musikalischer Persönlichkeiten in groß besetzter Form an – auch wenn das Ensemble nur aus 15 Musikern besteht. Jeder dieser Musiker ist selbst Solist, der im Dialog mit dem Solopianisten seinem individuellen Weg durch das Stück folgt. Nur im vierten Teil gibt es einige „orchestral“ synchrone Aktionen, die aus einer Zusammenfassung verschiedener Schichtungen enstanden sind.
Im ganzen Stück „hört“ jeder einzelne Part im Dialogisieren mit dem Solisten und dem restlichen Ensemble sehr genau auf alles, was geschieht, ohne je zu imitieren, immer dem anderen Raum zur Wahrnehmbarkeit lassend.
Es entsteht ein utopisches Gebilde aus der Koexistenz ganz verschiedener Persönlichkeiten und – auf die „Globalisierungsfrage“ anwendbar – auch dem Koexistieren ganz verschiedener Kulturen, welche in einer Polystruktur aufeinandertreffend, wenn man ihnen ihre Individualität läßt, zu ästhetisch und sinnlich sehr reicher Vielfalt, sogar zu witzigen Episoden führen können, was sich sicher an einigen Passagen des Klavierkonzerts ausmachen läßt.
Es gibt eine gewisse Intensität, die die gesamte Zeit über vorhanden ist, die eine pulsierende, wenn auch nicht gleichmäßige Rhythmik hat, deren Wurzeln in meiner Beschäftigung mit Jazz und improvisierter Musik zu finden sind, und die die Aufmerksamkeit des Zuhörers, ohne daß er „an die Hand genommen“ würde, darauf lenken kann, daß es vielleicht eine andere Art und Weise der Wahrnehmung gebe, die ihm andere Facetten des gleichberechtigten Zusammenlebens von verschiedenen menschlichen Individuen und Gesellschaften eröffnen könnte.
Daran wird nicht erst behutsam herangeführt, sondern das Stück beginnt sofort mit allem Material gleichzeitig, der Hörer wird unvermittelt in diese Musik hineingeworfen, wie ein neugeborenes Kind ins Leben. Wenn man offenen Ohres und Geistes ist, dann wird man dennoch relativ schnell Zugang finden und die Vielfalt all der Dinge, die gleichzeitig geschehen, wahrnehmen können. So wird man verstehen, daß auch nichts davon fehlen darf, daß in diesem dichten Stück nichts überflüssig ist, daß alles notwendiger Bestandteil des Reliefs der verschiedenen Schichtungen ist.

Musik kann politisch sein durch die Haltung, die sie, auch dem Publikum gegenüber, einnimmt. Wenn man in der Kunst konsequent und „gnadenlos“ ist, kann man Dinge schaffen, die den von der Musikindustrie und der Erziehung aufgezwungenen Schönheitsbegriff verändern, erweitern, in Frage stellen, und dadurch neue und vielfältigere Wahrnehmungsweisen der komplexen Welt, in der wir leben und agieren, ermöglichen. Diese Haltung muß eine radikale sein, die keine Kompromisse mit sogenanntem Harmoniebedürfnis, Schönklang und esoterischem Mumpitz eingeht.

Prayer to the Unknown Gods of the People Without Rights (2002) ist formal eine Fortsetzung des der „Kugelgestalt der Zeit“ verwandten Konzepts der Gleichzeitigkeit verschiedener Individuen von Entre deux guerres. Der Unterschied: in diesem Stück überlasse ich den Solopart vollständig dem improvisierenden Solisten Peter Brötzmann, also einer von der meinigen völlig unabhängigen Persönlichkeit. Er trifft auf ein auskomponiertes Ensemblestück, das in sich bereits vielfältige Strukturen und Zeitschichtungen birgt. Der Solist erhält keinerlei Anweisung, was, wann und ob überhaupt er zu spielen habe. Dieses Experiment kann natürlich nur mit einem Solisten glücken, der als Musikerpersönlichkeit zu solch eigenständigem Handeln fähig ist. Gleichzeitig muß die Komposition so angelegt sein, daß sie einerseits dem Solisten Raum zum Agieren läßt, andererseits in jedem Moment auch ohne den Solisten funktioniert, der also theoretisch während des ganzen Stückes schweigen könnte.
In der Gleichzeitigkeit dieser schon im Ansatz völlig verschiedenen Arbeitsweisen vollzieht sich eine weitere Ausweitung des Begriffs der Polystruktur, ein „Megakontrapunkt“, um auch einmal Modesprache zu verwenden.
Brötzmann bleibt in diesem Stück 100% Brötzmann, ich bleibe 100% Eichmann. So entsteht eine Musik, die keiner von uns allein machen könnte. Es ist also nicht ein Kampf, ein Konflikt, der ausgetragen wird, sondern immer ein Dialog, der seine Basis und seine Kommunizierbarkeit an das Publikum aus der gemeinsamen freiheitlichen Haltung und dem Geltenlassen des Anderen (auf der Kugel der Zeit) bezieht. 4

Zwischen diesen beiden Solokonzerten entstand von Oktober 2001 bis Februar 2002 Verdichtung und konnte sich dem Einfluß der politischen Ereignisse dieser Zeit nicht entziehen. In diesem Stück erfahren Polyrhythmik und Polystruktur eine Komprimierung, wie bereits der Titel andeutet. Drei Schlagzeuger sind fast ständig aktiv in vielerlei polyrhythmischen Schichtungen, die den „Sog“ der Musik unablässig erhöhen. Die ihnen gegenübergestellte Harfe artikuliert in scheinbaren Verschnaufpausen klangscharfe, quasi perkussive, rhythmisch ebenso stringente Aktionen, während Bläser und Streicher häufig in großen flächenartigen Schichtungen geführt sind, die als entweder in sich bewegte Klanggebilde langer Dauern oder Klangrepetitionen nach ähnlichen Rhythmusstrukturen wie im Schlagzeug auftreten.
Die Verdichtung all dieser Elemente gerät manchmal an die Grenzen der Faßbarkeit, was eine Interpretation eine höchst anspruchsvolle Aufgabe für ein Ensemble werden läßt.

Ein wichtiger Unterschied in meiner Arbeitsweise der polystrukturellen Schichtung zu der Zimmermanns ist sicher der der Materialfindung. Hat Zimmermann sein Material in der Regel seriell geordnet, so verwende ich konsequent Zufallsoperationen zur Findung sowohl der einzelnen klanglichen und rhythmischen Bestandteile als auch der Kombination und Schichtung dieser an verschiedenen Zeitorten (wenn man so will auf der Kugel der Zeit), d.h. in verschiedenen Tempi, Augmentationen, Diminutionen gleichzeitig stattfindenden Strukturen.
So ist es für mich während des Arbeitsprozesses nahezu nicht vorhersagbar, welche Strukturen im fertigen Stück wie aufeinandertreffen und neue Strukturen entstehen lassen werden. Eine tatsächliche Dramaturgie ist nicht planbar. Trotzdem „spricht“ die Musik, ihre Sprachart und Dramatugie entsteht organisch aus sich selbst heraus. Die komplexen Zusammenhänge der menschlichen Existenz, das Zusammen- und Gegeneinanderwirken der verschiedenen Strukturen sind nicht systematisierbar. Die individuelle Struktur kann zu jeder Zeit allein bestehen und in vielsprachigen Dialog mit jeder selbständigen anderen Struktur treten.

Passiert in der Musik nun etwas, was ich als Utopie auch vom Hörer erwarte, was ich dem Hörer vermitteln will? In meiner Musik wird allerdings keine Utopie per se und direkt „abgebildet“. Ich verwende lieber den Begriff „Haltung“ anstelle irgendeines anderen Terminus’, der die konkrete Utopie eines besseren Gesellschaftssystems assoziierte.

Bernd Alois Zimmermanns Musik nehme ich nicht immer in dem Sinne wahr, wie er sie selbst in Intercommunicazione beschrieben hat: als „Gleichzeitigkeit unvereinbarer Partner“. Ich entdecke dagegen das, was in der Vereinung des Unvereinbaren entsteht, als etwas eigenständiges, neues, erstrebenswertes und ästhetisches, das eine eigene Existenz beginnt, die ohne das Zusammentreffen der Gegensätze nicht möglich wäre. In diesem Sinne möchte ich auch meine eigene Musik verstanden wissen.

1 Das Konzept Globe Unity entstand lange vor dem heutigen, rein ökonomischen Begriff der „Globalisierung“ und hat mit diesem nichts gemein.
2 Alex Schlippenbach in einem Film von Harold Woetzel über die schon erwähnte Tournee des SWR-Orchesters 1995 mit Zimmermanns Requiem
3 Der Titel ist eine Datierung: das Stück entstand zwischen zwei Golfkriegen, zwei Ex-Jugoslawienkriegen, während mehrerer Völkermorde in Indonesien, Ruanda, etc. pp.
4 In dem Streichquartett Flight for Liudas (2004) habe ich dieses Prinzip auf einen kammermusikalischen Zusammenhang angewendet: es sieht einen improvisierenden Sopransaxophonisten vor und ist dem litauischen Saxophonisten Liudas Mockūnas zugeeignet.

( Dietrich Eichmann, zum von Dr. Jörn Peter Hiekel geleiteten Symposion „Bernd Alois Zimmermann – Zeitauffassung und musikalische Poetik“
an der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“, Dresden, November 2004 )

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Regards sur Berlin

Lorsqu’on arrive à Berlin et que l’on part à la découverte du panorama musicale de cette ville, on perd facilement l’orientation. Ce fut toujours ainsi. Déjà, dans les années 80, dans l’ancienne zone Ouest de la ville, encore séparée par le mur, les adolescents de ma génération racontaient des blagues sur les nouveaux arrivants de la république derrière le chemin-transit de la RDA, qu’il fallait traverser pour aller n’importe où dans le reste du pays. Ces jeunes gens, qui étaient souvent très excités d’arriver finalement dans la grande ville mystérieuse, se perdaient rapidement dans la jungle culturelle déjà caractéristique de Berlin.
Il y a une longue tradition de la présence d’artistes et de musiciens étrangers à Berlin. Dès1963 le DAAD ( Deutscher Akademischer Austausch-Dienst ) invita beaucoup d’artistes en résidence, dont certaines célébrités comme Vinko Globokar, Mario Bertoncini, Diamanda Galas, Glenn Branca, Cecil Taylor, David Moss, Shelley Hirsch. Ces personnalités y revinrent souvent. Certaines y restèrent pour longtemps ou pour toujours. Au total, jusqu’à aujourd’hui, 240 résidents ont été invités par le DAAD, en ne comptant que les musiciens. Parallèlement il y avait certainement autant d’artistes invités dans les disciplines visuelles, la littérature et le cinéma. A cela, il faut bien sûr ajouter toutes les personnes qui sont venues par d’autres moyens ou même celles qui n’en avaient pas.
Le but de cette politique était de nourrir autant que possible la vie culturelle de cette ville encerclée par le mur de la guerre froide. Berlin-Ouest était en train de devenir le centre européen de la subculture, de l’expérimental, de la collaboration multinationale et ce même sans développer un sensationnalisme éxagéré. C’est notamment le cas pour le jazz et la musique improvisée. La première génération du Free Jazz européen s’était installée ici et parvint à maintenir des nombreuses activités dont les deux grands festivals de la FMP, le Workshop Freie Musik et le Total Music Meeting pendant trente ans.
La politique et le tourisme d’aujourd’hui, qui imposent une commercialisation impitoyable de la vie culturelle, ne nous oppressaient pas encore autant. Ce qui se passait dans ce grand melting-pot se déroulait plutôt tranquillement et indépendamment. Conditions paradisiaques pour les arts créatifs dont il ne reste, aujourd’hui, qu’une légende.
En dépit de cela les artistes, les musiciens viennent encore s’installer à Berlin. Depuis la chute du mur cet effet n’a pas seulement doublé mais quadruplé.

Lorsque Berlin est redevenu la capitale de l’Allemagne, la politique culturelle a forcément changé. En 1990, la politique n’avait pas encore les moyens de contrôler ce qui se passait dans les quartiers Est de la ville, où la liberté créative, poussée par les nouveaux arrivants ou les anciens résidents, sètait développée. A Berlin-Est, riche vivier artistique, une nouvelle vie culturelle avait été créée par tous ces musiciens es créateurs, une vie encore épargnée de la spéculation et de l’escroquerie.
Depuis la fin du siècle dernier avec le néo-libéralisme triomphant, beaucoup des scènes musicales ont disparu, soit parce qu’elles avaient été vendues, soit parce que les locataires ne pouvaient plus payer les loyers qui étaient montés en flèche, soit einfin en raison de la commercialisation des programmes, qui éliminait le coté experimental. Les jeunes musiciens se sont débrouillés en organisant des concerts dans des endroits moins respectueux, moins évidents comme des squats ( KuLe ), un petit cinéma ( Raumschiff Zitrone ), une ancienne école ( Kulturhaus Mitte ) ou bien dans leurs propres appartements.
La communauté s’est donc diversifiée, chacun luttait de son coté, s’isolant en voulant défendre son esthétisme particulier, on découvrit de fait une certaine forme de concurrence. Il y avait donc besoin d’un lien, d’une identité.
Un petit groupe se forma autour de quelques figures illustres, comme le trompettiste Axel Dörner, l’inside-pianiste Andrea Neumann, le batteur Burkhard Beins, le violoniste Aleks Kolkowski, qui se concentrèrent sur la réduction du matériel musical qui donna, dans un premier temps, des résultats étonnants.
Rapidement une véritable école esthétique, très dogmatique, pour ne pas dire sectaire vit le jour. On abandonna toute ligne, tout rythme distinct, et surtout l’idée du contrepoint. Le principe de cette musique « réduite » etait le cercle. C’est-à-dire le cercle comme forme ou plutôt seul point de repère musical, ce qui se fait « drôlement » remarquer dans le jeu du percussioniste Burkhard Beins qui ne frappe presque jamais sur ses instruments mais exécute des frottements et des roulements qui tournent en cercles sur les membranes ; de même que le cercle comme forme dans l’espace quand le son tourne d’un musicien à l’autre et empêche que les deux jouent ensemble. Cet état du dogme musical remplaça le besoin apparent d’une identité spirituelle puisque le spiritualisme ne semblait pas « cool ». Mais l’imposition de ce style sur tous les musiciens qui arrivaient sur la scène berlinoise entretenait le goût du sectarisme de l’école du réductionisme.
L’exemple du saxophoniste italien Alessandro Bosetti est évident. Si l’on écoute ses anciens disques encore enregistrés en Italie l’adaptation de son style personnel à l’école du réductionisme berlinois est frappante. En écrivant ceci j’écoute l’enregistrement d’un concert donné en mars 2004 à l’ Ausland avec Bosetti, Boris Baltschun, Serge Baghdassarians et Michel Doneda. Là le principe du cercle tournant s’est conservé au long des années mais grâce à l’esprit inventif et la musicalité de ces quatre instrumentistes il en ressort une musique d’ambiance précise qui se sert de ce qui est devenu le langage imposé avec souveraineté et indépendance incontestables.
Malgré ce dogmatisme tout cela a mené à des résultats assez intéressants comme le montre déjà la vaste documentation sur CDs de ces musiciens dans différentes combinaisons et sur plusieurs dizaines de labels.
À la limite la « réduction » se termine pourtant là : lorsque quelqu’un qui maîtrise à peine son instrument se met à se gratter la barbe pendant cinq minutes sur scène, tout en croyant qu’il participe à un événement musical.

Quant au Total Music Meeting comme on le connut avant, il fut démembré par la politique culturelle lorsuqe Jost Gebers rendit au Sénat, en 2000, les subventions qu’il y avait encore, un an après la mort du Workshop Freie Musik, l’autre festival de la FMP depuis 1969. Helma Schleif et Wolfgang Fuchs font beaucoup d’efforts pour sauver le TMM, mais le malentendu et l’envie règnent, on répète les mêmes fautes qu’on avait critiquées lors de la direction précédente. De fait cela entraîna encore des controverses qui furent à l’origine d’un éclatement de la communauté en plusieurs groupuscules, dont chacun se croyait le successeur légitime.
Fin triste d’une époque.
La continuité du TMM, sous la nouvelle direction, reste incertaine chaque année 1. On leur souhaite qu’il leur sera possible de rafraîchir l’esprit de la programmation actuellement trop bornée, ainsi que de résoudre les problèmes financiers qui sont existentiels de toute évidence. Espérons que l’un mènera à l’autre.

Parmis les festivals annuels de musique à Berlin qui sont encore soutenus par l’Etat il y a Inventionen en juin qui s’occupe principalement de l’installation sonore et du multimédia en présentant surtout les invités du DAAD depuis 1982.
A partir de 1999, l’UltraSchall se consacra, durant le mois de janvier, à la composition contemporaine. Ce festival était rattaché à deux stations radiophoniques : la Deutschlandradio et la SFB ( Sender Freies Berlin ). L’année dernière le gouvernemnt décida de « fusionner » la SFB avec l’ ORB ( Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg ) lors de la réunion des deux Länder de Berlin et Brandenburg. Il en résulta une réduction considérable des moyens consacrés à la musique avant-gardiste et non-commerciale. Sur un peu près six émissions hebdomadaires réservées à la musique non-commerciale de ces deux anciennes chaînes résuites en un pôle unique. La direction de la nouvelle RBB ( Rundfunk Berlin Brandenburg ) insista sur la nécessité de « mieux répondre aux besoins du public », c’est à dire d’éliminer tout ce qui n’était pas vendeur. Ce schéma a d’ailleurs été appliqué dans la destruction de la plupart des stations radiophoniques en Allemagne, soit en les fermant complètement, soit en coupant tous moyens de la production non-commerciale.
De fait les directeurs artistiques de l’UltraSchall, Martin Demmler et Rainer Pöllmann – tous les deux anciens rédacteurs de la défunte SFB – se sont retrouvés immobilisés. On ne peut que saluer leur débauche d’énergie pour essayer de sauver, au regards des nouveaux cadres institutionnels, ce festival. De nouveaux partenaires privés furent trouvés même si cela fut au prix de la liberté de la programmation.
Ces festivals, comme certains autres, restent pourtant restrictifs dans leurs conceptions artistique et économique, et excluent systématiquement les prises de risques pour se limiter à de l’expérimentation de complaisance, totalement « inoffensive ». Il en devient parfois difficile de faire la différence – sauf dans la taille – entre un show 100% commercial du Sony Center à la Potsdamer Platz et un spectacle monté dans un cadre « dit » artistique. De même je ne vous parlerais pas des productions grand-guignolesques montées ces dernières années à Berlin avec des moyens financiers colossaux alors qu’il n’y avait prétendument pas d’argent...
En 2002 le festival annuel de « musique actuelle », le MaerzMusik succéda à la Musik-Biennale Berlin, qui était réservée aux programmes orchestraux des compositeurs parus chez de grands éditeurs. Matthias Osterwold, le nouveau directeur qui pris alors en charge la programmation du MaerzMusik, décida de littéralement changer de musique. Il put puiser dans sa longue expérience de programmation de musiques expérimentales et indépendantes, puisqu’il avait déjà été, depuis 1983, à l’origine des Freunde guter Musik ( les amis de la bonne musique ), puis directeur artistique du Podewil, l’ancienne Haus der jungen Talente ( Maison des jeunes talents ) de Berlin-Est, dans les années 90. De fait il présenta un programme absolument inhabituel pour un tel festival en 2002. Depuis on l’a pourtant contraint à y inclure de la musique classique contemporaine assez complaisante soutenue par de grands éditeurs, mais, il ne cesse, parallèlement, d’ouvrir et de porter à la lumière des travaux plus clandestins qui dessinent l’avenir de la musique, et d’autres dont la pensée n’est pas appréciée de l’ordre établi. Osterwold a quand même réussi à faire du MaerzMusik le festival de musique contemporaine le plus intéressant d’Allemagne ( si ce n’est d’Europe ), qui va beaucoup plus loin que l’on n’ose y penser à, par exemple, Donaueschingen.

Les initiatives individuelles et celles prises par les différentes communautés artistiques me parraissent plus passionantes que les grands festivals.
D’abord en se distinguant de la programmation sectaire pratiquée par le KuLe et le Raumschiff Zitrone, tout un collectif, autour du saxophoniste Gregor Hotz, travailla pendant des années à la reconstruction et à la rénovation d’une maison dans la Lychener Straße à Prenzlauer Berg. Ils traversèrent aussi le long chemin bureaucratique pour donner à ce local une licence officielle. Après avoir connu plusieurs formes provisoires la très belle maison de l’ Ausland ( l’Étranger ) ouvrit ses portes en janvier 2003. Très rapidement elle est devenu l’un des lieux les plus importants de manifestations culturelles indépendantes de la ville où l’on présente des concerts, des colloques, des discussions, des fêtes, du théâtre, qui nous font passer de la soirée dansante avec DJ Sven-Ǻke Johansson jusqu’à la représentation de L’instruction de Peter Weiss avec la musique de Luigi Nono.
De mon coté, après le succès inattendu 2 du premier concert organisé spontanément dans mon living durant l’été 2000, je décidai de monter une petite série de concerts chez moi, qui resta à l’écart de la lutte entre les écoles esthétiques et les petites « mafias » et se dédia à la diversité. C’était la naissance des oaksmus studio concerts qui durèrent, sous cette forme, jusqu’en avril 2004, et se terminèrent avec un récital du tromboniste/compositeur pionnier Vinko Globokar. Treize autres concerts avaient déjà eu lieu, comprenant des portraits de jeunes improvisateurs aux approches esthétiques assez différentes ainsi que de jeunes compositeurs aux langages prononcés, des approches originales de ce que l’on appelle « musique du monde », et des maîtres de la génération précédente.
oaksmus est interrompu temporairement, mais le relais est déjà pris par la nouvelle série individual media events de la compositrice Stephanie Schweiger qui organise des concerts également dans son living. Jusqu’à présent il y a eu un récital du tromboniste/électronique anglais Hilary Jeffrey et un évenement-exposition autour des oeuvres de Sabine Schall.
Sabine Schall organise d’ailleurs, avec Ingken Wagner, l’atelier complicen où on trouve la musique des minimalistes autour d’Antoine Beuger et l’ Edition Wandelweiser ainsi qu’une installation sonore du jeune musicien électronique Boris Baltschun pendant des expositions de l’oeuvre plutôt minimaliste et conceptionelle d’un large cercle d’artistes internationaux.
Fluctuation permanente.
Vers 2002 le flux amèna à Berlin quelques musiciens suisses dont notamment le pianiste Jürg Bariletti qui fit transformer un entrepôt sur la presqu’île d’Alt-Stralau en salle de concert et d’habitation. À Stralau 68 il présente, depuis 2003, une série de concerts et de petits festivals en inivitant beaucoup de musiciens non berlinois dont un grand nombre de pianistes.
D’autres musiciens suisses sont venus s’installer à Berlin avec lui dont le jeune et talentueux saxophoniste Antoine Chessex et Gilles Aubry qui est le premier spécialiste du laptop qui m’a convaincu en tant que musicien. Ils apportent un esprit plus pluraliste, léger et humoristique à la scène berlinoise qui en manquait réellement auparavant. Je recommande d’écouter un des groupes punk-jazz d’Aubry et Chessex ou bien l’adaptation de la musique de Thelonious Monk par Chessex et Bariletti, hommage subtil au virtuose et dans sa malice très respectueux du grand maître.

Ces derniers temps il me semble que les différentes communautés sont en train de s’entrouvrir et que la musique commence à respirer de nouveau. On a compris que nous luttions tous contre les mêmes problèmes et il se dessine de nouveaux échanges entre les douzaines de communautés musicales différentes dont je n’ai pu décrire ici qu’un nombre trop insuffisant. Beaucoup a été détruit par l’ignorance et la rapacité de la politique, mais l’esprit berlinois prouve encore une fois, je l’espère, à la fois sa résistance contre la commercialisation mais aussi son refus de la systématique.

1 Le TMM est cette année sous le patronage de Mme Rita Süssmuth, ancienne présidente du Bundestag et grande dame du parti chrétien-démocrate. Bizarre ?
2 Voir l’album top floor encounter publié sur oaksmus avec le saxophoniste allemand Lars Scherzberg et les américains John Hughes et Jeff Arnal.

( par Dietrich Eichmann, JazzoSphère no.23, Paris, octobre 2004

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Beim Schenker Hören

„Friedensfeier“ – skurrilster Humor, überschwengliche Lebensfreude verbunden mit sarkastischer Ironie über damit gepaarte aggressive Urtriebe; eben das, was die Friedensfeier zur Intermission vor dem nächsten Kriegszug macht.
Schenker ist Anarchist und Satiriker, nicht als „Kleinkünstler“, sondern auf allerhöchstem Niveau.
Selbst wenn sehr konstruiert-strukturalistische Elemente in seiner Musik auftauchen, werden sie durch ironisierende, chaotische Einwürfe gestört und lassen den starren Strukturalismus zur bitteren Satire werden. Im Allegro der „Commedia per musica“ wird das besonders deutlich. Marcia und Finale hingegen gehen gnadenlos ins Düstere der real-existierenden Gegenwart (nicht nur der von 1989), bevor auch diese Düsternis als anarchische Lebensfreude auflacht, den Verhältnissen den Hintern zeigend.
Ganz stark in den „Danton-Fragmenten“ mit ihrer kompletten Demontage von Sprache als Musik, zu Musik, die durch den gesamten Körpereinsatz des Posaunisten zu einer archaischen und dann wieder sehr humanistisch-konsequenten Äußerung wird – Schenker selbst ist unschlagbar, wenn er das spielt. „Gehen Sie in das Theater! ... Gänge, so leicht und kühn in die Luft gesprengt!“ Unwillkürlich muß ich an Tinguelys sculptures auto-destructives denken.
Zweimal bin ich Schenker begegnet.
Das erste Mal 1987, als Nonos „risonanze erranti“ im Theater im Palast in Ost-Berlin aufgeführt wurde. Ich hatte das Stück etwa ein Jahr zuvor in Köln gehört, wollte es unbedingt wieder hören und reiste von West- nach Ost-Berlin. Die Situation war sehr eigenartig. Nono war da und redete von einem „kleinen Wunder“, daß er mit dem Ensemble und dem Freiburger Experimentalstudio hier im TIP auftreten durfte, kündigte dann an, daß ein zweites Wunder, nämlich ausreichende Stromversorgung für eine funktionsfähige Live-Elektronik eher unwahrscheinlich sei. Es trat auch nicht ein, und „risonanze erranti“ erklang elektroniklos. Das erlebte ich inmitten von Zuhörern, die zur einen Hälfte aus uniformierten Staatsträgern bestanden, zur anderen offenbar aus Musikern (wenige erkannte ich aus der ostdeutschen Free-Jazz-Szene), die sich - zischend durch die Mundwinkel und den Blick starr zur Bühne gewandt - Kodiertes zuflüsterten. Ein hochbärtiger Wuschelkopf, der allein durch seine starke Präsenz aus dieser Gesellschaft herausstach, war der einzige, der – zwar auch mit gesenkter Stimme, aber durchaus vernehmbar – kein Blatt vor den Mund nahm. Später wurde mir klar: das konnte nur Schenker gewesen sein.
Das zweite Mal begegnete ich ihm 1994 auf einer Party in der Akademie der Künste (West-Berlin) zum 70. Geburtstag von Klaus Huber. Als Schenker meinen Namen erfuhr und mir kräftig die Hand schüttelte, sagte er aus voller Brust: „Na, einen Goebbels haben wir ja auch schon!“ (Er meinte natürlich Heiner Goebbels)
Von allen Kommentaren zu meinem Nachnamen war dieser sicher der herzlichste.
Ein Musiker und Mensch wie Schenker tut gut in einer Zeit, in der esoterischer Mumpitz und Pseudo-Schönklang als allumfassender „Hochkultur“-Trend in der globalisierten, politisch seicht-korrekten, weil satten Multimedia-Gesellschaft dem Besitzbürgertums-Intellektuellen Piercing und Tattoo ersetzen.
Ich möchte Friedrich Schenker noch viele Jahre solcher Energie und Wahrhaftigkeit wünschen. Was auf seinen immer wieder überraschend sich wendenden Wegen entsteht, ist frischer als vieles von der jüngeren Generation.

(Dietrich Eichmann in: „Landschaft für Schenker“ hrsg. von Stefan Amzoll, Berlin 2003)

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AIYT - Agony Is Your Triumph – von Christoph Ogiermann

Alexander Kluges Schlußsequenz des Films Deutschland im Herbst (1977/78):
Die Beerdigung der Toten von Stammheim Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe auf dem Stuttgarter Waldfriedhof am 27. Oktober 1977 ist gerade zuende gegangen. Eine junge Mutter geht mit ihrer kleinen Tochter am Rand der Autobahnzufahrt entlang und versucht, ein Auto für die Heimfahrt anzuhalten.
Joan Baez singt den Song Here’s to you aus dem Film Sacco & Vanzetti (Regie: Giuliano Montaldo) über die beiden 1927 unter fadenscheiniger Mordanklage von der US-amerikanischen Justiz exekutierten italienischen Anarchisten Nicola Sacco und Bartolomeo Vanzetti. Die Melodie stammt von Ennio Morricone:

Here's to you, Nicola and Bart
Rest forever here in our hearts
The last and final moment is yours
That agony is your triumph

Kluges Verknüpfung der hochbewachten Bestattung von Deutschlands „Staatsfeinden Nr.1“ mit dem – damals in der Protestbewegung überall bekannten – Erinnerungssong an von anderem, aber diesem ja immer wieder beschworen nahestehenden Staate hingerichteten Feind beinhaltet ein enorm hohes emotional-irrationales, also künstlerisches, Potential.
Dies erkannte Christoph Ogiermann, so daß er beschloß, über das Lied ein eigenes Stück zu entwerfen. In AIYT gelingt es ihm, die geschichtlichen, politischen und musikalischen Beziehungen zu vervielfältigen.
Nicht nur in der Thematik, sondern auch in der Arbeitsweise der extremen Augmentierung der Melodie, der Durchführung in einer Art durchbrochener Zwölftontechnik sowie der Heterophonie des Satzes setzt Ogiermann einen (musik-)geschichtlichen Bezug: In seiner Komposition für Orchester und Tonband Per Bastiana – Tai-Yang Cheng von 1967 verwendete Luigi Nono das chinesische Revolutionslied Der Osten ist rot auf ähnliche Weise als Ausgangsmaterial.
So setzt AIYT letztendlich gar eine enge Beziehung zwischen den beiden denkbar unterschiedlichen italienischen Musikern Ennio Morricone und Luigi Nono.
Durch die Projektion der Fälle Sacco & Vanzetti und der ersten Generation der RAF auf die heutige Zeit entsteht das Bewußtsein einer Kontinuität der staatlichen Repression in der „freien Welt“ über die Epochen hinweg. Sie wirft die Frage auf, ob wir die modernen Methoden der Unterdrückung des kritischen sowie des künstlerischen Geistes überhaupt als solche erkennen. Oder glauben wir längst daran, daß es wirtschaftlich, daher unabänderlich, notwendig sei, wie uns der Neo-Liberalismus weismachen will, den letzten kritisch und künstlerisch Schaffenden in dieser Republik schlichtweg die Existenzgrundlage zu nehmen und sie so zum Schweigen zu bringen, ohne offensichtliche körperliche Gewalt anwenden zu müssen?
Die erste Version von AIYT für sechs Musiker und Zuspiele wurde im Juni 2002 auf der documenta XI uraufgeführt. Nach dem Stück war das Publikum lange Zeit still, als hätte eine unbekannte Kraft in dieser Musik ein Empfinden und Fragen ausgelöst, mit denen nicht gerechnet wurde.
Musik, die keine Fragen stellt, ist überflüssig.
Vor kurzem führte Stefan Amzoll mit mir ein Gespräch zum Thema Wieviel Geschichte braucht Neue Musik? Ich möchte die Frage abgewandelt stellen: Welche neue Musik braucht die Geschichte? Jedenfalls und bitter nötig Musik, die die Wahrnehmung für geschichtliche Zusammenhänge in unserer Gegenwart schärft; Musik, die das irrationale Denken zwischen den Zeilen der von den Autoritäten genehmigten Geschichtsschreibung ermöglicht, denn künstlerischer Ausdruck ist irrational, gerade um dieser Ermöglichung willen.

(Dietrich Eichmann: Programmtext zur UA der Neuversion von AIYT im Sendesaal von Radio Bremen, November 2003)

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Texte über Dietrich Eichman

Wolfgang Rihm, 1993

Dietrich Eichmann ist ein außerordentlich begabter und bereits sehr eigenständiger junger Kollege. Er studierte von 1985-92 bei mir und gab mir mit jedem neuen Projekt Anlaß über seine Entwicklung erstaunt zu sein. Ich halte es für ein besonderes Zeichen von Begabung, wenn ein junger Komponist nicht bei ersten Erfolgen und Funden stehenbleibt, sondern sich weiterentwickelt, die Fähigkeit erkennen läßt, erreichte Positionen zu verlassen, kritisch-produktiv hinter sich zu lassen. Dietrich Eichmanns Musik ist stets von persönlichem Charakter, auch dort wo er Vorbilder nicht verleugnet. So hat mich sein freier und dabei bohrend intensiver Umgang mit der Anregung, die er durch Morton Feldman erhielt, und die er in seinem "Trio für Horn, Violine und Klavier" gestaltete (und dabei bewältigte), sehr begeistert.
Eichmann besitzt neben dem Ernst und der existenziellen Ausrichtung seines Arbeitens etwas sehr seltenes im Bereich der Neuen Musik: er besitzt einen sehr persönlichen Witz, die Fähigkeit zu blitzschnell humoristischer Brechung des eben noch düster-schwarzen Ausdrucks. Seine genaue Kenntnis des Jazz ermöglicht ihm zudem die produktive Kririk des musikalischen Avantgarde-Materials. Seine Musik gewinnt von daher Rauheit, Schärfe aber auch Poesie und eine durchaus melancholische Komponente.
Hier ist ein wirklich begabter junger Komponist, zudem ein integrer Mensch, der es sich niemals leicht macht, und der aus innerem Antrieb und hoher musikalischer Intelligenz heraus arbeitet.
Es ist für mich die schönste Bestätigung als Lehrer, als er ein Schüler ist, der niemals bei dem stehen bleiben wird, was ich ihm geben konnte.

Wolfgang Rihm, Januar 1993

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Rolf Riehm, 2000

über "Study No.912" in einem Schreiben an Christoph Grund am 21.2.2000:

Lieber Herr Grund,
...
Eine Entdeckung war der Dietrich Eichmann, das Klavierstueck habe ich gehoert, zu dem Klavierkonzert fehlte mir noch die Musse. Toll gespielt, reich in der Dynamik und im raschen Wechsel der Charaktere. Besonders hat mich Ihr - bei einer so zerkluefteten Komposition! - kann man das sagen?: gesanglicher Stil ueberrascht, ich habe das Ganze wie eine somatische Exklamation gehoert, mit zahlreichen Zwischentoenen und Bemerkungen zur Seite. Ganz phantastisch gespielt die Absenkungen, dass man Angst hatte, gleich verschwindet alles in der Luftlosigkeit.

Wirklich sehr eindrucksvoll! Kann sich auch gut neben dem gewaltigen Nono behaupten.

Herzliche Gruesse einstweilen
Ihr Rolf Riehm

 

über "Entre deux guerres" in einem Schreiben an Christoph Grund am 26.3.2000:

Lieber Herr Grund,
hatte endlich Musse fuer das Stueck. Sehr beeindruckend!! Man hoert ja immer mit gierigen Ohren: Ueberreich an "Klangfindung". (In der Bildenden Kunst spricht man von der Bildfindung und meint, wenn ich das recht verstehe, die Uebertragung einer narrativen Idee in die technische/kompositorische Manifestation. Da hat der Eichmann einen enormen Einfallsreichtum.)

Details, die mir besonders auffielen:
IIc diese Art von ungeschlossener Form, hinter der eine transitorische Aestethik steht (ist mir sehr nahe): Ueberzeugend gemacht. Schwankende Gegenwart, und immer die diversen pattern-Starts, die ins Hintere laufen. Ueberhaupt hat mich die eigenartige Form der formalen Reliefbildung beruehrt, kann es vorlaeufig nicht genauer sagen.
III als Gross-Kadenz, kommt genau zum rechten Zeitpunkt. Nachklingen der Akkordscharen: gestisch sehr gut gespielt fuer mein Gefuehl. Besonders ab ca 5:10 kommt die dynam./artikulat./gestische Tiefenstaffelung hervorragend zum Vorschein (...Ruhe vorn, Erregung halb hinten...u.a.).

Der Mann hat ein Gefuehl fuers timing! Etwa auch die Generalpause in der vorderen Phase des IV. Teils. Ganz wunderschoen die letzten 2, 3 Minuten
des IV. Teils.

Das wollte ich Ihnen doch noch rasch gleich sagen.

Herzlichen Gruss Ihr Rolf Riehm

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François Couture in All Music Guide, 2002

It is not often that we come across modern composers who are also active free improvisers. Dietrich Eichmann writes orchestral scores and works for piano and electronics, but he also tours as a free improv pianist with The Straight Trio and has performed with Wolfgang Fuchs and Garrett List, among others. In between he finds time to manage the record label Oaksmus and host a concert series by the same name in Berlin.

Eichmann's formative years reads like a short who's who of avant-garde music, all fields combined. He was still in his teens when in the early 1980s he studied piano and improvisation with Alexander von Schlippenbach, who introduced him to Berlin's jazz scene. After two years spent on musicology and philosophy studies he came back to music, this time learning composition from Wolfgang Rihm, theory and analysis from Mathias Spahlinger and Walter Zimmerman. Between 1992 and 1994 he was assistant to Frederic Rzewski at the Conservatoire Royal de Musique de Liège in Belgium.

His first musical project of importance was a performance duo with Wolfgang von Stürmer called FIQ (Fraktion Illegaler Quomponisten). They recorded a self-released cassette in 1986, En Suite in Twelve Parts, which consisted mostly of found sounds, electronics, and turntable work. The performance piece “Game and Earnest" (premiered 1987, recorded 1989, released 2001) earned Eichmann his first laurels. A long work for improvisers, computer, and chess players, it allied his interests in electronics, chance operations (the chess pieces triggered computer music loops), and free improvisation.

In 1990 Eichmann worked for the first time with the Ensemble Modern, which would premiere his “Verdichtung" twelve years later. Also in 1990 he co-founded his first music production company, Neue Komponisten Gesellschaft, which remained active until 1996. Meanwhile he toured Europe in 1995 with Ken Butler, Anthony Coleman, Christoph Grund, and Stürmer and wrote two pieces for French choreographer Stéphanie Aubin: “Piano Quartet The Late 92" and “La Pulsation Intégrale."

In 1998 he completed “Entre Deux Guerres," an impressive piano concerto, Varèse-ian in its dynamics but still very personal. In 2001 the label Wergo released a CD of his contemporary classical works, while his own newly-incepted label Oaksmus began to unearth recordings of his earlier pieces, including Game and Earnest and Entre Deux Guerres. In the spring of 2002 Eichmann toured the US as a free improv pianist with Lars Scherzberg and Astrid Weins, appearing at the Knitting Factory and at the first Improvised and Otherwise festival.

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